Dienstag, 10. Februar 2015

Mit und ohne Serifen. Im Buchstabenmuseum. Teil 1



Schon sehr lange hatte ich den Gedanken, mit der Klasse einmal das Buchstabenmuseum zu besuchen.
Buchstaben sind magische Zeichen. Sie sind meist schwarz, es gibt in unserer Sprache nur 26 davon, und je nachdem, wie sie angeordnet sind, entstehen, wenn sie auf einen kundigen Kopf treffen, Bilder und Wörter und auch Seelenzustände in eben diesem.




Das ist doch eine verrückte Sache, oder? Das, was man so lesen nennt.

Deshalb ist der Erstleseunterricht auch so spannend, denn man bemerkt als Lehrer(in) genau diesen Punkt, an dem das Kind sein Universum um das des Umgangs mit Buchstaben erweitert.


In Berlin gibt es auf den Straßenschildern 
dieses besondere "Ess-Zett",
hier noch als solches zu erkennen.
Diesen ganz besonderen Buchstaben ß
gibt es nur im Deutschen.

Das ist wie eine Geburt: Zurück geht es nicht mehr. Nur noch nach vorne weiter.

Aber was sich einem hierdurch alles erschließt....!!!

Es gibt in Berlin ein kleines privates Museum, das von enthusiastischen Menschen aus Liebe zu den Buchstaben unterhalten wird, das Buchstabenmuseum.


Persönlich war ich noch nie dagewesen, aber ich empfinde es immer als ein persönliches Manko, dass ich, die Leseratte und Bücherliebhaberin, nie weiß, in welcher Schrift ein Buch gedruckt wurde, das ich gerade in der Hand halte.



Ein quasi existenzielles Manko, würde ich sagen. Vor Jahrzehnten fand man manchmal auf der Rückseite des Titelblattes eines Buches noch den Namen der Schrift, heute nicht mehr.

Das Buchstabenmuseum ist ein eher kleineres Museum mit sehr, sehr vielen, außerordentlich interessanten Exponaten. Es liegt in den Räumen eines ehemaligen DDR-Supermarktes in Berlin-Mitte nahe der Jannowitzbrücke.
Wir gingen mit halber Klassenzahl hin, also mit 12 Kindern heute.
Die anderen Kinder gehen in zwei Wochen, denn am nächsten Dienstag ist Fasching, und das soll mit einem rauschenden Fest in der Schule gefeiert werden.



Wir waren zu früh da, und die Kinder vertrieben sich die Zeit mit Fangen spielen und dem Auffinden von vielen Nelken, die sie eifrig sammelten und untereinander verteilten, an denen sie dauernd schnupperten und die alle den Weg mit in die Schule fanden und später wohl nach Hause finden werden.




Leider wurde beim Fangenspiel auch ein ordentlich großes Hundehäufchen breitgetreten, dessen Geruch uns fortan nicht verließ...

Die Kinder entdeckten das Burger-King von gegenüber und wollten, dass ich sie zum Schmausen einlade, was ich aber nur für den Fall versprach, dass der Museumsbesuch ausfallen würde. So konnte ich wenigstens den skandierenden Sprechchor "Bur-Ger-King!" beruhigen.



Frau Hoepfner, Museumspädagogin im Buchstabenmuseum, kam und bat uns herein. Sie erklärte uns, dass viele der Buchstaben im Museum dreidimensional seien und klärte mit den Kindern diesen Begriff.




"Überall in Berlin begegnen Euch große Buchstaben", sagte sie, "kennt Ihr welche?"

"Ja, das M von McDonald's", meinte Jasper und zeigte das M mit der Hand in der Luft. "Es ist rund und rot."

Andere Kinder nannten das U der U-Bahn (blau und weiß), das S der S-Bahn (grün).
Jonina kannte das H der Bushaltestelle und auch seine Farben: grün und gelb.




"Gegenüber ist ein 'LIDL'", meinte Frau Hoepfner, wie sehen denn da die Buchstaben aus?"
Die Kinder wussten, dass das 'i' schräg steht und dass die Buchstaben in gelb, blau, rot gehalten sind.
"Das sind die Grundfarben. Wer weiß denn, was die Grundfarben sind?"

Während P. es sich zu einem ersten Nickerchen im Sessel bequem machte, sagte Jonina: "Das sind die Farben, aus denen man alle anderen Farben mischen kann."

Aimée ergänzte: "Aus den anderen Farben kann man aber die Grundfarben nicht mischen, sie lassen sich aus gar keinen anderen Farben mischen."

Mir war nicht so bewusst gewesen, dass das LIDL-Logo einen schrägen Buchstaben hat, aber viele Kinder zeigten ein erstaunlich gutes Beobachtungsvermögen.

"Diese Buchstaben erzählen eine Geschichte", sagte Frau Hoepfner und fragte, was für ein Laden denn das LIDL sei, was man dort alles bekommt: Nichts Besonderes, Exquisites, sondern die Grundsachen zum Leben. Das sollen die drei Grundfarben ausdrücken.

So etwas denken sich Gestalter aus, sie suchen Formen und Farben, die zu dem Gegenstand passen und ihn den anderen Menschen verständlicher machen. Solche Leute nennt man Gestalter oder Designer.

Die Buchstaben sehen verschieden aus, weil sie so gestaltet worden sind.



Dieses R gehörte zu einer DRuckerei
in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Wir schauen uns ein besonderes R an und gucken, was an ihm so besonders ist. Es ist aus Metall und schon sehr alt, es hat eine Kante oben.

Alle unsere Buchstaben in Druckschrift bestehen aus geraden Strichen, Kreisen oder Teilen von Kreisen und aus Punkten. 

Jetzt sehen wir ein ganz anderes R. Es ist golden, hat einen Schwung nach vorne.



Das goldene R sieht auf dem Foto
silbern aus.
Rechts sieht man das
kringelige E mit den Serifen.

"Zu welchem Geschäft könnte so ein R passen?" Die Kinder tippen auf Kleider oder Schmuck.

Das R ist von einem Autohändler, von Daimler-ChRysler. Es ist aus Chrom, aus Metall, glänzend, geschwungen, wie wenn man mit Schwung und schnell fährt.

Welches R ist wohl älter, welches jünger? Keine Frage, das runde R ist jünger, man konnte es schon geschickter schmieden, das Metall warmmachen und langziehen.

Ganz früher ritzten oder meißelten die Menschen die Buchstaben in Holz oder Stein, sie waren dann eher gerade.

Jetzt sehen wir ein ganz besonderes E und machen uns Gedanken, was es vom uns bekannten E unterscheidet.



Der Besuch im Museum ist schon eine besondere Seh- und Beobachtungsschulung, der der fast alle Kinder begeistert und genau mitdenken, aber auch eine gemeinsame Entwicklung von möglichen Bedeutungen, die man mit den einzelnen Zeichen verbinden kann... Frau Hoepfner klärt sehr behutsam und anschaulich die Dinge im Dialog mit den Kindern.

Wir sehen jetzt noch ein anderes E , es ist auch aus Metall, aber es hat noch etwas, das die anderen Buchstaben nicht hatten. (Vorletztes Bild rechts)

"Diese Häkchen." - "Ja, die nennt man Serifen. Es gibt Buchstaben mit und ohne Serifen."

Klasse, was die Kinder heute alles durch Anschauung und gemeinsames nachdenkliches Entwickeln lernen!

Dass es nur zwölf Kinder sind, tut auch einiges dazu, dass jedes Kind, wenn es denn mag, zu Wort kommt und sich beteiligen kann.

Es war eine intensive Führung von mehr als einer Stunde Dauer.

Den zweiten Teil machten zu einem erheblichen Teil die Leuchtstoffröhren aus. Morgen geht es damit weiter!

Zum Abschluss heute ein wunderbares Buch:

Nadine Roßa : ß Eine scharfe Type

Sehr lesens- und anschauenswert!!!


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